“The Jane Austen Book Club” – und ein Internetexperiment

“Each of us has a private Austen” – so beginnt Karen Joy Fowlers Roman über sechs Menschen, die zusammen die sechs Romane von Jane Austen lesen und besprechen. Und diesen Roman haben vor ein paar Jahren auch ein paar Literaturinteressierte (darunter auch meine Wenigkeit)  in einem Internetforum besprochen – alle paar Tage ein neues Kapitel.

Man kann das Buch entweder recht schnell zusammenfassen oder ganze literaturwissenschaftliche Abhandlungen darüber schreiben, in denen man die Parallelen zwischen den Figuren und den einzelnen Austen-Romanen aufzeigt. Ich habe mich für die erste Variante in Kombination mit der Internetbesprechung entschieden.

Der Literaturzirkel ist recht bunt zusammengewürfelt, fünf Frauen und ein Mann –  von der 67jährigen Bernadette bis zur 28jährigen Prudie, eine Mutter und ihre Tochter, zwei beste Freundinnen, ein Paar, das unter Jane Austens Führung langsam zueinander findet usw.  Sie treffen sich einmal im Monat bei einem der Mitglieder, um unter dessen Leitung einen Roman von Jane Austen zu besprechen. Die Auflistung der Kapitel:

  • March: Chapter one, in which we gather at Jocelyn’s to discuss „Emma“
  • April: Chapter Two, in which we read “Sense and Sensibility” with Allegra
  • May: Chapter Three, in which we read “Mansfield Park” with Prudie
  • June: Chapter Four, in which we read “Northanger Abbey” and gather at Grigg’s
  • July: Chapter Five, in which we read “Pride and Prejudice” and listen to Bernadette
  • August: Chapter six, in which we read “Persuasion” and find ourselves back at Sylvia’s house

Bei jeder der Figuren finden sich Parallelen zu ihrem Lieblingsroman: Wie Emma macht es Jocelyn Spaß, Leute zu verkuppeln, Allegra wird von ihrer Partnerin Corinne verraten und enttäuscht, Sylvias Ehe erhält – wie in „Persuasion“ eine zweite Chance etc., und selbstverständlich gibt es auch ein Happy End.  Weitere Eindrücke kann man der folgenden Besprechung (in Auszügen) entnehmen:

Scrooge: Im ersten Kapitel wird der Roman „Emma“ bei Jocelyn besprochen. Die Gemeinsamkeiten zwischen Emma und Jocelyn sind recht gut dargestellt – ihre Leidenschaft, Leute zu verkuppeln und bestimmte Ereignisse in ihrer Jugend, die immer dann „eingeblendet“ werden, wenn ein bestimmter Aspekt des Romans besprochen wird.

Was mich allerdings etwas verwirrt, ist die Erzählperspektive: Wenn es heißt: „Each of *us* had a private Austen.“ oder „*We* sat in a circle…“, dann erwarte ich eigentlich einen Ich-Erzähler, also einen aus der Gruppe, der dann manchmal die Wir-Form verwendet, wenn er für alle spricht. Aber das ist hier nicht der Fall. Es ist entweder dieses „Wir“ oder ein personaler Erzähler, der, auf jeden Fall in diesem Kapitel, aus der Sicht von Jocelyn berichtet. Etwas ungewöhnlich.

Paloma: Scrooge, die Erzählperspektive hat mich ebenso verwirrt. Der Erzähler kann keiner aus der Gruppe sein, sowohl im 1. als auch im 2. Kapitel wird von allen Personen in der 3. Person gesprochen.

Die eigentliche Stärke dieses Buches liegt für mich (es hat schließlich jeder seinen privaten Jane Austen Book Club) in der Beschreibung der jeweiligen Hauptperson des Kapitels. Das abgerundete Bild von der jungen Jocelyn, das auf nur ca. 30 Seiten gezeichnet wird, hat mir wirklich Eindruck gemacht, insbesondere die kurze Schilderung des Vorfalls mit Bryan, in den sie verliebt war und der am Rande eines Festes einen sexuellen Übergriff startet, den man, bei nicht gar so enger Auslegung des Begriffs, als Vergewaltigung bezeichnen könnte. Die Demütigung des jungen Mädchens ist mit Händen greifbar.

Der Höhepunkt des 2. Kapitels war für mich die Schilderung der Bloßstellung und Beklemmung Allegras, als sie feststellen muss, dass ihre einigermaßen erfolglos schriftstellernde Freundin Geheimnisse, die Allegra ihr auf deren Bitten hin anvertraute, in Geschichten verarbeitet und zu veröffentlichen versucht hat. Ich bin schon gespannt, ob sich der Trend fortsetzt, dass die Personen das Lüften eines Geheimnisses nicht als Erleichterung, sondern als weitere Demütigung wahrnehmen, denn auch Jocelyn fühlte sich ein weiteres Mal beschämt, als sie Jahre nach dem Vorfall mit Bryan in einer Gruppe davon erzählte.

Tulpe: Ich soll hier viele Grüße von Scrooge ausrichten. Sie hat im Moment Probleme mit ihrer Internet-Verbindung und kann deshalb zeitweilig nicht mitschreiben. Es wird aber an einer Lösung gearbeitet.

Paloma: Scrooges Probleme mit dem Internetzugang sind zwar sehr bedauerlich, aber wir haben Glück im Unglück, denn im 4. Kapitel steht Grigg im Mittelpunkt, der einzige Mann im Literaturzirkel, in den 40ern. Grigg hat seinen Job im technischen Support verloren und arbeitet seitdem auf dem Campus bei den Linguisten und behebt dort hauptsächlich PC-Probleme.

  • Paloma: Grigg, laß alles stehen und liegen und fahr zu Scrooge in den Niederlanden, nahe der Grenze zu Deutschland.
  • Grigg: Alles klar. Wenn ich bei Scrooge fertig bin, soll ich dann noch bei Bocki vorbeifahren und dort nach der PC-Kurbel gucken? Ist doch nicht weit.
  • Paloma: Genau so machst du es.

Nun ist Grigg eine Weile unterwegs und ich kann in Ruhe über ihn reden. Ebenso wie Sylvia und Prudie kam er über Jocelyn zum Literaturzirkel. Die beiden lernten sich in einem Kongreßhotel kennen, in dem zwei Kongresse zur selben Zeit stattfanden: einer über Science-Fiction (den besuchte Grigg) und ein Hundezüchter-Kongreß (da war Jocelyn). Die Begegnungen der Teilnehmer der beiden Kongresse sind stets amüsant, es scheint, als könnten die Welten, in denen Science-Fiction-Leser und Hundezüchter leben, nicht unterschiedlicher sein.

Die Erzählperspektive wird immer verrückter: der Wir-Erzähler betont mehrmals, von Ereignissen aus Griggs Jugend- und Kindheit zu berichten, die er gar nicht wissen kann, weil Grigg sie niemandem erzählt habe.

Scrooge: So, mein „abgesoffener“ Internetzugang tut wieder, zwar nicht dank Griggs Hilfe, sondern der des Gatten und des netten und überaus geduldigen Herrn von der Hotline. Wer an dieser Stelle grinsend an das DAU-Hotline-Gespräch denkt, hat recht.

Zurück zum Thema: Paloma hat die letzten beiden Kapitel schon sehr schön zusammengefasst und mir auch einige Denkanstöße gegeben. Bei Prudies Mutter war es nicht mein erster Gedanke, dass es ein Selbstmordversuch war, aber beim Nachlesen erscheint es mir sehr plausibel.
Die Wir-Erzählperspektive macht auch mir immer noch zu schaffen. Im vierten Kapitel kann man sich am Anfang unter dem „wir“ die Damen, die sich gegen den einzelnen Herrn solidarisieren, richtig gut vorstellen. *g* Allerdings ist, neben Grigg, auch Jocelyn hier die Hauptperson, die Hundezüchter- und Science-Fiction-Konferenz mit allen Begegnungen und Missverständnissen werden ausschließlich aus ihrer Perspektive erzählt und nicht etwa aus Griggs. Mein Lieblingszitat hier: „Being a vampire is no excuse for being rude.“

Paloma: Da das Buch ja nun schon gut die Hälfte fertig gelesen ist, kann man schon mal eine Zwischenbilanz ziehen: Ich habe es noch keinen Moment bereut, es angefangen zu haben. Die Übergänge zu den Austen-Romanen erscheinen mir manchmal jedoch – gerade im 4. Kapitel – ein bißchen bemüht. Die Teile, die die diversen Geschichten der Mitglieder des Literaturzirkels erzählen, gefallen mir durchweg gut. Besonders die Zusammenstellung der Gruppe finde ich gelungen und lebensnah, sie erinnert mich sehr an den Bekanntenkreis meiner Mutter: es ist absolut realistisch, dass es sich überwiegend um Frauen handelt und bei dem Mann, der sich in diese Runde verirrt hat, stimmt das Alter haargenau.

Insgesamt fürchte ich, dass dieser Roman dem Verkaufserfolg von Harry Potter nichts entgegenzusetzen hat, die Einbeziehung von 6 Austen-Romanen sowie The Mysteries of Udolpho dürfte auf die meisten Leser, die nicht rein zufällig ein Anglistikstudium absolviert haben, eher abschreckend wirken. Ich hätte jedenfalls keine Geduld, mir erst 7 Romane reinzuziehen, um einen 8. genießen zu können.

Scrooge: Paloma, deiner Zwischenbilanz schließe ich mich an. Die Personenkonstellation ist wirklich gut gelungen, und mit gefällt auch der humorvolle Stil. Allerdings setzt der Roman wirklich ein immenses Vorwissen voraus. Aber man bekommt wirklich Lust, mal wieder einen Jane-Austen-Roman zu lesen.

Paloma: Das Mitglied des Zirkels, das im fünften Kapitel im Mittelpunkt steht, ist Bernadette, eine schillernde Person, die einige Ehen hinter sich gebracht hat und die gern erzählt. Nicht immer zur Freude der anderen. Prudie z.B. schätzt Bernadettes Art, ausufernd zu erzählen, nicht sehr, um aber einem am Tisch sitzenden Schriftsteller, der sich despektierlich über Jane Austen geäußert hat, eins auszuwischen, ermuntert Prudie Bernadette zu immer neuen Schwänken aus deren Leben und so erzählt Bernadette von ihrem ersten Ehemann John. Dieser John weißt sehr ähnliche Züge wie eine Figur aus P&P auf, nämlich Wickham. Wie dieser malte John von sich ein Bild moralischer Makellosigkeit, hatte aber in Wirklichkeit Dreck am Stecken und wie dieser machte sich John mit einer jüngeren Schwester aus dem Staub.

Scrooge: Die Parallelen zwischen John und Wickham fielen mir auch sofort auf. Aber gerade, als ich mir deswegen begeistert auf die Schulter klopfen wollte, stolperte ich über Bernadettes Bemerkung: „I thought he [der anwesende Autor] just liked the plot. So I added some bits. Sports. Lingerie, Sexy little sisters. Guy stuff.“ Also hat sich Bernadette hier wohl eher von Jane Austen inspirieren lassen, aber des basst scho.

Später fragt Prudie, die schon etwas viel getrunken hat, Bernadette, ob sie, die schon so viele Bücher gelesen und so viele Dinge getan hat, ob sie noch an Happy Ends glaubt. Bernadettes Antwort darauf: „Oh my Lord, yes. I guess, I would. I’ve had about a hundred of them.“ Irgendwie gefällt mir diese Sichtweise. Viele Romane enden ja dann, wenn (fast) jeder glücklich und zufrieden ist, aber meistens kann man sich vorstellen, dass das nur eine gewisse Zeit anhält. Aber das ist dann nicht tragisch, man macht weiter, macht etwas anderes und irgendwann kommt ein neues Happy End. Auf Bernadette trifft das auf jeden Fall zu, wie man im Epilog lesen kann.

Perle, dürfen wir noch auf einen Kommentar von dir hoffen?

Perle: Hihi – ich habe es mich heute, beim „hochkommen“ dieses Threads gefragt, ob ich eigentlich noch meinen Senf abgeben soll…

Habe das Buch mittlerweile 2x gelesen. Ich hatte die Austen-Stories nicht mehr so ganz im Kopf bei der Erstlektüre, also habe ich die Novels nochmal durchgearbeitet und nochmal gelesen.
Ist jetzt allerdings auch schon wieder ein bißchen her – was bei mir haften geblieben ist, ist einmal das große Rätsel, wie sich Allegra wieder mit Corinne zusammentun konnte. (Auch wenn das jetzt keine Austen-Parallele ist. Obwohl: Da habe ich mich auch manchmal gefragt, WARUM jetzt gerade diese beiden Personen zusammenfinden).

Diese Besprechung hat eine Menge Spaß gemacht, und ein Roman, der so strukturiert ist, eignet sich natürlich auch besonders gut dafür. Leider haben wir es bisher nicht mehr geschafft, dieses Experiment zu wiederholen.

Kategorien: Literarisches und Kulturelles | 2 Kommentare

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2 Gedanken zu „“The Jane Austen Book Club” – und ein Internetexperiment

  1. Paloma

    Schade, dass es nie zu einer Wiederholung dieser gemeinsamen Leserei gekommen ist. Ich erinnere mich, dass ich damals den Vorschlag machte, „The fourth hand“ von J. Irving gemeinsam zu lesen, (was ein durch und durch eigennütziger Vorschlag war, weil ich es aus eigenem Antrieb nie schaffte, das Buch zu lesen) aber das war nicht konsensfähig.

    • Stimmt, das hatte ich schon wieder vergessen. Interessant klingt der Vorschlag aber schon. Vielleicht ergibt sich mal irgendwann wieder eine Gelegenheit.

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